Die Flora ist in den Herzen der Kölner fest verankert. Was für ein Schreck war das vor fünf Jahren, als das 1955 eröffnete Große Tropenhaus im Botanischen Garten wegen seiner maroden Tragstruktur geschlossen werden musste und ein Gutachten die Sanierung der Schaugewächshäuser für nicht mehr wirtschaftlich erklärte. Da erwachte der „kölnische Bürgersinn“ und der Freundeskreis Botanischer Garten Köln beauftragte das ansässige Büro Königs Architekten mit einer Planung, auf deren Grundlage sich der Rat der Stadt Köln 2015 für einen Neubau entschied. Bauherrin für das mit 11,4 Millionen Euro angesetzte Großprojekt ist die Gebäudewirtschaft der Stadt, die den Neubau im Auftrag des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen bei laufendem Betrieb realisiert. Auch nach der Neueröffnung 2023 wird der Eintritt in die Flora frei bleiben – ein großzügiges Geschenk der Rheinmetropole an ihre Bürgerinnen und Bürger.
Vor der Abbruchphase mussten zunächst die Vertreter der rund 5.000 Pflanzenarten ausgepflanzt und in Ersatzquartieren untergebracht werden. Darunter sind bis zu sechs Meter hohe Großpflanzen sowie zahlreiche seltene und damit sehr wertvolle Arten von Aloen, Kakteen, Orchideen und Palmen, die in ihrem natürlichen Bestand teils stark gefährdet sind.
Seit dem ersten Spatenstich 2018 ist viel passiert, seit Ende Mai 2021 steht die dreiflügelige Anlage mit Tropenhaus, Nutzpflanzenhaus und Wüstenhaus vollständig verglast genau an der Stelle ihres Vorgängerbaus, allerdings mit doppelter Höhe. Ilse und Ulrich Königs, die sich mit Kirchenbauten einen Namen gemacht haben, entwarfen für die Schaugewächshäuser eine Schalenkonstruktion mit parabelförmigen Stahlbögen, die bei einem vergleichsweise geringen Materialeinsatz einen maximalen Sonnengewinn ermöglicht. Die Statik übernimmt das Büro Assmann Beraten und Planen (Dortmund). Genau dies zeigt sich nun in dem stützenfreien Innenraum der drei miteinander verschnittenen Tonnen. Am Scheitelpunkt misst das Tropenhaus 18 Meter, die Dimensionierung der vorfabrizierten Stahlelemente erscheint dafür überaus schlank, ihr Schattenwurf entsprechend gering.
Die großen Glasscheiben, von denen jede 170 Kilo wiegt, sind plan, die Rundung der Hülle ist also genaugenommen nicht rund wie die Stahlträger, sondern polygonal. Dies bietet nebenbei den Vorteil, dass Vögel die quasi durchsichtigen Häuser wegen ihrer fragmentierten Oberfläche als Hindernis erkennend umfliegen und auf einen weiteren Vogelschutz verzichtet werden kann. Die 28 Millimeter dicke Spezialverglasung aus zweifach-Isolierglas hat eine sehr hohe Lichtdurchlässigkeit. So kann man heute von jedem Standpunkt aus vollständig durch die Glashäuser hindurchschauen.
Technisch so gut wie die Natur
Glas- und Stahlbau sind inzwischen abgeschlossen, die Hülle hat soeben die Dichtigkeitsprüfung nach künstlicher Beregnung bestanden. Nun arbeiten die technischen Gewerke daran Wasser, Elektro und Heizung möglichst unsichtbar zu verlegen. Da sich in der Glashaut kaum etwas verstecken lässt, gibt es einen direkt davor verlaufenden Revisionsschacht. In der Konstruktion wird eine intelligente Mess- und Regelanlage installiert. Sie kann die unterschiedlichen Klimaanforderungen sehr präzise simulieren, um für die Ansprüche der in der Wüste oder den Tropen heimischen Pflanzen auch im Rheinland ideale Bedingungen zu schaffen. Eine Verschattung ist hier nicht erforderlich, da sich der Aufbau der Bepflanzung an der Natur orientiert, die die großen Pflanzen zu Schattenspendern für die kleinen macht. Auch künstliche Beleuchtung ist nicht vorgesehen, weil die Schaugewächshäuser nur bei Tageslicht Besuchszeit haben, die Arbeitsbeleuchtung für die frühen Morgen- und Abendstunden kann jedoch bei Bedarf an Festlichkeit etwas intensiviert werden.
Bevor nach der Fertigstellung der Gebäude 2022 die Pflanzen einziehen können, werden die entsprechenden Böden eingebracht und die Topografie von RMP Stefan Lenzen Landschaftsarchitekten mit einem Canyon und möglichst barrierefreier Besucherführung über verschiedene Höhen modelliert. Die künftigen Höhenlinien zeichnen sich heute schon im Verlauf des Betonsockels ab. Darin verborgen und von der Außenseite zugänglich, befinden sich auch die Betriebsräume für die Angestellten.
Einmal um die Welt
Der denkmalgeschützte Tropische Hof im Zentrum der dreiflügeligen Anlage liegt heute noch brach, bald soll hier jedoch das Viktoriabecken mit der legendären Riesenseerose wieder hergestellt werden. Den Eingang in die Schaugewächshäuser erreichen die Besucherinnen und Besucher an der dem Botanischen Garten zugewandten Seite, am Kopf der Palmenallee. Fast augenzwinkernd markiert ein vermeintlich hochgeklapptes Tor den Zugang, der tatsächlich doch eine Tür ist. Über eine Schleuse betreten die Gäste zunächst das Nutzpflanzenhaus, daran anschließend in das große Tropenhaus geführt. Im dritten Flügel liegt das Wüstenhaus, das, um das trocken-heiße Klima stabil zu halten, mit einer Glaswand abgetrennt ist.
Den Rundgang wird ein Besuch der ebenfalls neu gebauten Orangerie komplettieren, hier überwintern die frostempfindlichen Pflanzen. Sie dient aber auch als Raum für Wechselausstellungen. Die Verbindung zwischen den beiden Baukörpern und die Abtrennung des dahinterliegenden Betriebshofs bildet eine Sichtbetonwand, mit einer davorgesetzten Schale aus Betonfertigteilen. Deren von Königs gestaltete Oberfläche fügt sich hier und an anderen Stellen des Projektes zu einem endlosen Rapport fein aufgeblätterter Schichtungen aneinander.
Dieser Beitrag erschien am 2. Juni 2021 im BauNetz