Die Ära der Posament- und Schnürsenkelproduktion in Wuppertal Oberbarmen ist vorbei. Seitdem die alte Industrieanlage zum BOB Campus wurde, wird hier intensiv daran gearbeitet, Leben und Wirken im Stadtteil zu verbessern. Zum Mitmachen sind alle eingeladen.
Der Wuppertaler Stadtteil Oberbarmen braucht Hilfe. Viele hier sind arm, arbeitslos, fühlen sich fremd im eigenen Land, in der neuen Heimat nie angekommen. Auch die Industrie, die Wuppertal einst reich gemacht hat, hat aufgegeben, Leerstand hinterlassen. Wer neu gründet, tut das lieber in einem vermeintlich „schöneren“ und sozial stabilerem Umfeld als im stigmatisierten Oberbarmen. Durch Maßnahmen im Fördergebiet „Soziale Stadt NRW“ verbesserten sich Wohn- und Lebensbedingen langsam, doch fehlte es an beständigen Strukturen, die wirtschaftliche Impulse und soziales Handeln zusammenbringen würden. Genau diese Leerstelle füllt nun der BOB CAMPUS, nicht erst seit der offiziellen Eröffnung im August 2022, sondern schon während des kooperativen Planungs- und Bauprozesses. Realisiert wurde er auf Initiative der Montag Stiftung Urbane Räume gAG im Rahmen ihres Programms „Initialkapital für eine chancengerechte Stadtentwicklung“.
Bis 2012 produzierte Bünger Oberbarmen in einer historischen Fabrikanlage Textilien, eine gewerbliche Nachnutzung für den Komplex aus Hallen und Wohnhäusern, die dicht gedrängt in einer wuppertaltypischen Hanglage stehen, fand sich nicht. So bewarb sich Familie Bünger bei der Bonner Stiftung. Mit der „Nachbarschaft Samtweberei“ in Krefeld hatte die bereits ein Pilotprojekt ihres Initialkapital-Programms umgesetzt, das Grundstück im Erbbaurecht übernommen, in Ausbau und Renovierung der Gebäude investiert und ein gemeinnütziges Projekt realisiert, das sich mit kuratierter Nutzungsmischung langfristig selbst trägt. Weitere Standorte sollten folgen, einer davon ist der heutige BOB CAMPUS. Büngers waren bereit der von der Stiftung gegründeten Projektgesellschaft Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH (UN BOB)das 8.400 qm große Grundstück für 99 Jahre im Erbbaurecht zu übertragen, Erbbauzins muss nicht gezahlt werden, solange das Projekt gemeinnützig agiert. Mit der Stadt Wuppertal, dem Jobcenter und der Gesellschaft für berufliche Aus- und Weiterbildung fanden sich wichtige lokale Kooperationspartner, weitere Akteure kamen aus dem Quartier dazu. Das Kölner Büro raumwerk.architekten, erfahren beim Bauen im Bestand, teilt Werte und Haltung der Stiftung und wurde von der Projektgesellschaft direkt beauftragt. Inhaltlich wie konstruktiv sollte einfach und mit dem Bestand gearbeitet werden, nicht dagegen, da waren sie sich einig und wichen über die gesamte Bauzeit nicht von dieser Leitlinie ab. Viel Zeit verbrachten die Architekt:innen damit, Bauteile zu öffnen, um sich die Gebäude genau zu erschließen.
Vielfalt abbilden
Die Projektgesellschaft wollte direkt vor Ort sein, doch die Bünger-Immobilien waren unbenutzbar. So mietete die Urbane Nachbarschaft BOB ein Ladenlokal in einer Nebenstraße und testete mit der kleinen Sanierung, wie sich berufliche Qualifizierungsmaßnahmen in das Gesamtprojekt integrieren lassen. Gut eigneten sich hier die zeitaufwendige, aber ressourcenschonende Aufarbeitung der historischen Holztüren, Böden und Fußleisten, Arbeiten die regulär beauftragt weit teurer wären als der Einsatz neuer Materialien.
Rund 13 Mio. Euro haben die Montag Stiftungen in die Planung und bauliche Entwicklung investiert, noch einmal rund 2 Mio. Euro investierte die Montag Stiftungen Urbane Räume für die gemeinwohlorientierte, partizipative Entwicklung und das Communitybuilding vor Ort. Schon mit der ersten Machbarkeitsstudie erkannten Johanna Debik, inzwischen auch Geschäftsführerin der UN BOB und die Architektin Ragnhild Klußmann, dass es eine öffentliche Durchwegung des Campus geben müsse, damit die Einbindung ins Quartier, die Erschließung aller Gebäudeteile und Nutzungen sowie der Anschluss an die populäre Nordbahntrasse gelingen. Auch bedingt durch die Topografie gibt es nun nicht den einen Haupteingang, sondern ein kleines städtisches Gefüge, in dem viele Wege zum Markt führen.
Nichts kaschieren
Direkt am Krühbusch, einer schmalen Wohnstraße, steht eines der gründerzeitlichen Wohnhäuser, auf dem Hof dahinter ein zweites. Wie das gesamte Ensemble sind die Häuser nicht denkmalgeschützt, doch die Empfehlung zum Erhalt deckt sich mit der Intention von Architektin und Bauherrin, nur behutsam in die Substanz einzugreifen. So wurden die Häuser vorsichtig gereinigt, Fehlstellen gekittet. Im Altbau aufwendig herzustellen war die durch Wohnraumförderung NRW und den inklusiven Ansatz der Stiftung geforderte Barrierefreiheit in fünf der elf Wohneinheiten, die nun über den Aufzug an der benachbarten Shedhalle und Stege erschlossen werden. Acht Wohnungen sind gefördert, drei freifinanziert. So wohnen auf dem BOB CAMPUS Familien mit kleinen und großen Kindern, aus dem Quartier oder zugezogen, Senior:innen und eine WG junger Menschen mit Behinderung. Nutzen können sie auch das Nachbarschaftswohnzimmer im Annex des Vorderhauses, in dem früher eine Dampfmaschine stand. Und hier knüpft der neue BOB an seine Geschichte an. Denn die Shedhalle, die hinter dem Vorderhaus den Hang emporsteigt, war eine Mietfabrik, in der Raum und Strom gestellt wurde – wenn man so will, eine sehr frühe Form des Coworking. Nach aufwendiger energetischer Sanierung, neuem Estrich mit Fußbodenheizung, innenliegender Dämmung, neuen, von innen gegen die Fassade gesetzten Fenstern und einem gedämmten Dach auf dem historischen Tragwerk wirken die sechs je 180 qm großen Bürolofts nicht verkleidet, sondern auf charmante Weise robust. Überschüsse, die durch die Vermietung dieser Flächen erwirtschaftet werden, werden dauerhaft für weitere Projekte und Aktionen auf dem BOB-Gelände und im Stadtteil zur Verfügung stehen, ein Beirat stimmt über die Verwendung ab.
Inzwischen ist auch das Team der UN BOB in ein kleines Büro im EG der Shedhalle gezogen. Direkt daneben führt eine neue Treppe bergauf, erschließt die Bürolofts und führt zu der auf einem Plateau sitzenden dreigeschossigen Fabrikhalle. Mit dem solidem Stahlskelett und den tragfähigen Platten konnte weitergebaut werden, Fassaden gab es nicht. Viel Licht sollte bis in die Tiefe des Gebäudes, so bekamen die oberen beiden Geschosse eine Polycarbonatfassade mit eingesetzten Fenstern, das Erdgeschoss eine hochwertige Pfosten-Riegel-Fassade mit großen Glasflächen. Hier befindet sich die Nachbarschaftsetage, das Herz des BOB, ein universeller 700 qm großer Raum mit Viertelsküche, in dem vieles möglich ist. Auflage für die Nutzung ist die Gemeinnützigkeit der Aktivitäten. Was hier stattfindet, spiegelt auch die kulturelle Vielfalt im Stadtteil wider. Grade zieht noch die Stadtteilbibliothek in die Etage, die mit ihrer Kernaufgabe perfekt in die BOB Symbiose passt, auch eine Gastronomie ist vorgesehen. In der zweiten Etage orientiert sich das Layout am Raster der Konstruktion, die Räume sind versatil und großzügig. Hier ist die OGS der nahen Grundschule zu finden, die weiteren Büroflächen und Coworking Spaces sind frei vermietet.
Das Alte neu denken
Im obersten Geschoss der Halle wird der Grundriss deutlich komplexer. So wurde zur Planung der Fachräume für Kunst und Gestalten für die gegenüberliegenden Realschule zunächst eine kleine Phase Null durchgeführt, denn die große räumliche Freiheit der Fabriketage irritierte die neuen Nutzer. Eine ungewöhnliche Lösung ist der unter Einhaltung aller Standards als Lerncluster maximal offen organisierte Bereich, in dem Stahlregale mit Holz und Glaseinsätzen als Raumtrenner und Galeriemöbel dienen. Über den Kunsthof fällt der Blick in den Kindergarten, den der CVJM hier betreibt. Die drei Gruppen und Nebenräume liegen um einen sternförmigen Flur, die Mitte ein Mehrzweckbereich. Ungewöhnlich ist auch die Spielterrasse: absturzsicher spielen die Kinder hinter der transluzenten Fassade, die Fensteröffnungen sind mit Netzen gesichert, über ihnen liegt das Stahltragwerk frei. Noch höher liegt nur die Dachterrasse, die aus dem mit gelben Streckmetall umhüllten Treppen- und Aufzugsturm wächst. Der ist das sichtbarste Zeichen für den Neubeginn. Einfaches Bauen sei angesichts der Vielzahl an Bestimmungen heutzutage nicht einfach, berichtet Ragnhild Klußmann von ihren Erfahrungen „es braucht den Mut aller am Bau Beteiligten, jenseits der eingeübten Standards zu denken und in den Regelwerken Möglichkeiten auszuloten, die uns die Freiheit zum Einfachen geben.“ Damit bezieht sie sich zum Beispiel auf das Dachtragwerk der Shedhallen, die neuen Fassaden oder auch den Erhalt der vorgefundenen Sanitärräume.
Im BOB Campus wird immer Bewegung sein, das gehört zum Konzept dieses hybriden Gebäudes. Nun freuen sich alle auf den Nachbarschaftspark, der in Kooperation zwischen der Stadt Wuppertal und der Projektgesellschaft (gefördert mit EFRE.NRW Investitionen in Wachstum und Beschäftigung) nach Planung von atelier le balto (Berlin), auf der am Hang liegenden 4.500 qm großen Brache terrassenförmig angelegt wird. Gemeinsames Gärtnern ist hier geplant, aber allein schon das öffentliche Grün wird dem Stadtteil wohltun.
dieser Beitrag erschien in der db 05/2023 „Stadtquartiere“