Für die Erweiterung des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln entwarfen die Architekten Glass Kramer Löbbert zusammen mit Uta Graff einen Neubau, der zu schweben scheint
Welche Maßnahmen helfen gegen den Muskel- und Knochenabbau, wie er bei Astronauten in der Schwerelosigkeit auftritt? Wie lässt sich der Stress aushalten lange Zeit auf engstem Raum mit einem kleinen Team zu arbeiten? Welche Lichtwellen wirken sich positiv auf den Rhythmus von Schichtarbeitern aus? Fragen wie diese möchte das Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin beantworten und dabei auch der terrestrischen Medizin dienen. Seit 1959 arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), zu dem das Institut gehört, an seinem Hauptstandort in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen Köln/Bonn und zeigt sich dort wenig spektakulär, nüchtern wirken die mehrgeschossigen Bürobauten, praktisch die Parkplätze davor, großzügig das Abstandsgrün. Als vor einigen Jahren die Erweiterung des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin mit einer hochtechnologischen medizinischen Forschungseinheit – genannt :envihab – anstand, erwachte der Wunsch, den weltweit einzigartigen Forschungen über eine angemessene – in diesem Fall also außergewöhnliche – Architektur Präsenz zu verleihen. Gut fügte es sich, dass im Rahmen der Regionale 2010, einem Strukturprogramm des Landes NRW, die innovativsten und leistungsstärksten Forschungs- und Produktionsstandorte der Region unter dem Titel Gärten der Technik vernetzt und in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden sollten. Konkret wurden dadurch die Konzeption des Neubaus, sowie der 2007 europaweit ausgeschriebene Wettbewerb begleitet und gefördert.
Alles unter einer Kiste
Glass Kramer Löbbert und Uta Graff gewannen den Wettbewerb mit einer abstrakt anmutenden Großstruktur, die unbeeinflusst von ihrer biederen Nachbarschaft Schwerkraft und Konventionen in Frage stellt. Eine weiße Plattform mit ornamentaler Perforation scheint über einem umlaufend angeschütteten Erdwall zu schweben. Größe und Stringenz imponieren, das retro-futuristische Bild verlockt. Doch was so augenfällig ist, verbirgt nur Tragwerk und Technik, die eigentlichen Forschungsmodule liegen darunter: acht Häuser im Haus, verborgen hinter dem Wall, räumlich gefasst und versorgt von oben. Wohl wissend, dass ihre Forschung kein statisches System ist, überzeugte die Bauherren die Flexibilität dieses Entwurfes. Denn die große Spannweite des Raumfachwerks ermöglicht eine freie Anordnung der Forschungseinheiten zwischen den vier Reihen filigraner Stützen in der Halle. Im Planungsprozess hat sich diese Anpassungsfähigkeit als überaus nützlich erwiesen, da die technischen Anforderungen zunehmend komplexer wurden. Doch seit der Fertigstellung ist die Möglichkeit zum Wandel aus eben diesem Grund nur noch theoretisch gegeben, der praktische Aufwand wäre enorm.
Die besondere Herausforderung des :envihab lag darin, einen autarken, partiell sogar aus dem irdischen Kontext gelösten Raum für medizinische Forschung zu schaffen. Als Besucherzentrum soll derselbe Raum es einer interessierten Öffentlichkeit ein Bild der wissenschaftlichen Arbeit vermitteln, ohne ins Infotainment zu entgleiten. Doch durch das Spiel mit Innen und Außen, innerem Äußeren und innerem Inneren haben sich die Architekten einen gestalterischen Freiraum geschaffen, in dem sie ihre Bildidee konsequent fortführen konnten.
An der Schmalseite des Gebäudes liegt der Eingang relativ unbetont, und erst von der erhöhten Eingangsebene aus erschließt sich dem durch die äußere Erscheinung des Gebäudes irritierten Besucher die Systematik aus Überbau und Modulen. Unter dem dominanten Dach liegt, zu zwei Dritteln eingegraben, eine große Halle, die über ein Lichtband im oberen Drittel hell und erstaunlich unbeschwert wirkt. Auf einer Grundfläche von 4.150 qm verteilen sich acht unterschiedlich große Einbauten: in Eingangsnähe befinden sich Hörsaal und Infrastruktur-Modul, im hinteren Bereich gruppieren sich fünf Forschungseinheiten um die mittig platzierte Zentrifuge. Die Anordnung erfolgt innerhalb des orthogonalen Rasters der Hallenstruktur, Zwischenräume und Aufweitungen werden zu Fluren und Aufenthaltsflächen erklärt.
Lockt oder schockt
Hilfreich für die Orientierung ist die Gestaltung der Oberflächen. Die Halle zeigt mit Sichtbeton, Glas, frei liegenden Leitungsrohren und als Terrazzo geschliffenem Verbundestrich einen nüchternen, sachlichen Charakter. Die Module sind mit weißem Eternit verkleidet, einem klassischen Fassadenmaterial für „draußen“. Öffnen sich die Türen lockt oder schockt je nach Befindlichkeit der stark farbige Kautschukboden im Inneren der Forschungsmodule. Immer wieder überraschend markieren grelle Farbakzente einzelne Funktionsbereiche, gelb die Nasszellen, grün die Aufenthaltsräume, rot Treppen und innere Fassade.
Für jedes der acht wissenschaftliche Module des :envihab, darunter das Herzstück des Instituts, die Kurzarmzentrifuge, sowie ein PET-MRT, ein Schlaflabor, eine Unterdruckeinheit und ein Psychologielabor gelten ebenso individuelle wie extreme Anforderungen. Allein gemein ist jedoch die Anforderung nach räumlicher Abgeschlossenheit. Nur so können Simulationsszenarien für verschiedene Klima- und Lichtzonen, Geräuschkulissen und Luftdrucksteuerungen geschaffen werden, in denen die Wissenschaftler die Auswirkungen von Langzeitaufenthalt im All am menschlichen Probanden auf der Erde untersuchen können. Konkret sollen alle irdischen Parameter wie Licht, Luft und Schall innerhalb der Module steuerbar sein. Sonderanforderungen hat zum Beispiel die Zentrifuge mit einem eigenen Fundament und Modul 4 (PET-MRT) mit einer Strahlenschutzwand. Die Wände der Module 2 und 5, sowie der äußere Ring des Zentrifugenmoduls und die Treppentürme wirken im statischen System der Halle aussteifend und sind betoniert. Die weitern Einbauten wurden in Trockenbauweise errichtet, jedoch mit einer Dämmschicht, die das normale Maß erheblich übersteigt. Hier zeigt sich noch einmal, dass die Flexibilität in der Anordnung nur noch bedingt gegeben ist.
Die Architekten wollten das Gebäude sehr transparent erscheinen lassen. Ein umlaufender Gang um die Halle steht allen Besuchern offen, nur der Kernbereich um die Zentrifuge ist mit Türen aus Weißglas kaum merklich abgeschlossen. Die Module reichen nicht bis zur Decke der Halle, auf ihren flachen Dächern wurde als Schallschutz weißer Teppich ausgelegt und Strahler montiert. Auf diese Weise abgestrahlt scheint die Hallendecke ferner und leichter und der räumliche Eindruck der Haus-im-Haus-Situation wird verstärkt.
An vier Stellen schieben sich schmale Lichthöfe zwischen die Module und lassen grünlich gefiltertes Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes dringen. Doch sind diese Außenräume nicht für dien Aufenthalt geplant, da der Boden mit einer sorgsam modellierten Schicht gewaltiger Mecklenburger Granitfindlinge bedeckt ist. Fast wirkt das ein wenig zynisch, doch hier überzeugt der Pragmatismus der skulpturalen Gestaltung. Die Lichthöfe sind so schmal, dass sie sich mit mechanischen Klappen auf dem Dach vollkommen überdecken lassen. Motoren aus Hafenkränen bewegen die 100 qm großen Stahlklappen, so dass Tag und Nacht im Dienste der Wissenschaft unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten manipuliert werden können. So können alle Labore unter Tageslichtausschluss arbeiten – nur wo die Arbeit es erlaubt, gibt es kleine Fenster zu den Lichthöfen. Mit den Arbeitsplatzrichtlinien ist das vereinbar, da alle Mitarbeiter noch einen weiteren Arbeitsplatz mit Tageslicht im Bestandsbau haben. Ob diese Introvertiertheit als beklemmend wahrgenommen wird, ist Individuell und situativ bedingt: Probanden, die hier an mehrwöchigen Bettruhestudien teilnehmen, mögen sie anders erfahren als die Wissenschaftler selbst.
Forschen heißt Ungewöhnliches wagen, Konventionen vernachlässigen, Netzwerke knüpfen. Dafür haben Glass Kramer Löbbert mit Uta Graff ein sehr anschauliches Bild gefunden und eine hochfunktionale Wissenslandschaft gestaltet, die immer wieder neugierig macht auf den nächsten Schritt.
Uta Winterhager
Architekten Glass Kramer Löbbert, Berlin; Graff, Uta, Berlin
Adresse DLR Campus Linder Höhe, 51147 Köln-Porz (keine Besichtigung möglich)
Erschienen in Bauwelt 13/2014