Nach dem Krieg waren die Menschen froh, wenn sie endlich wieder ein Dach über dem Kopf hatten. In der Siedlung Ostheim II konnten sie sogar den Luxus eines eigenen Badezimmers genießen. Doch noch vor zehn Jahren heizten die Menschen hier mit Braunkohle. So schlecht war die Substanz, dass nur noch Abriss und Neubau halfen. Jetzt ist der Buchheimer Weg pastellgrün, preisgekrönt und wer dort wohnt, findet es einfach schön.
Die Siedlung am Buchheimer Weg wurde zwischen 1954 und 1958 von der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Wohnungsbau GAG im Rahmen des Entbunkerungsprogramms gebaut. In Köln herrschte große Wohnungsnot und auch zehn Jahre nach Kriegsende hausten viele immer noch kaum menschenwürdig in Bunkern, Ruinen und Behelfsheimen. Es musste also viel, schnell und günstig gebaut werden. Die Wohnungen waren zwar klein, eine Wohnküche, zwei Schlafzimmer und ein Bad, boten aber deutlich mehr Raum als die 4 qm, die die Besatzungsmächte jeder Person zugestanden hatten. Die Kohleheizung entsprach dem damaligen Standard, die Wäsche wurde im Waschhaus gewaschen und dort auch getrocknet. Die 18 Häuser waren schlicht, dreigeschossig mit Hochparterre und Satteldach, pastellfarbige Fassaden sollte die schlichte Architektur aufwerten. Als Zeilen ohne strenges Raster angeordnet, blieben zwischen den Gebäuden großzügige Grünflächen, die in ausgewiesenen Bereichen auch zum Spielen genutzt werden konnten.
Ostheim liegt rund 25 Straßenbahnminuten Dom entfernt am östlichen Stadtrand, und außer dem Rhein, mehreren Eisenbahnsträngen und den Brachen der halbtoten Industrie scheinen noch Welten dazwischen zu liegen. Wer nicht in Ostheim wohnt, weil er dort wohnen muss, fährt dort auch nicht hin. So hatte Rudolf Schwarz, der nach dem Krieg als Generalplaner mit dem Wiederaufbau der Stadt betraut war, die Zukunft wohl nicht im Sinn. Er ließ Neubaumaßnahmen in Form rationeller Großsiedlungen dort planen, wo sie seiner Ansicht nach städtebaulich und sozial hingehörten: an den Rand der Stadt, wo es damals noch eine hohe Konzentration von Arbeitsplätzen gab. Doch mit dem Bau einer Hochhaussiedung in den 70er Jahren spitzte sich die Situation in Ostheim zu, seitdem trägt Stadtteil wie viele rechtsrheinische Quartiere den Stempel sozialer Brennpunkt. Ein Brennpunkt war die Siedlung am Buchheimer Weg allerdings nie, es war einfach keine „gute“ Gegend, denn wer bezieht heute noch eine Wohnung ohne Heizung?
Doch die GAG, die immer noch Eigentümerin der Siedlung ist, wollte die Menschen dort nicht alleine lassen, auch wenn sie das „gemeinnützig“ inzwischen nicht mehr in ihrem Namen trägt. Mehre Architekturbüros beauftragte sie 2005 zu untersuchen, wie die Situation am Buchheimer Weg nachhaltig verbessert werden könnte. Das Kölner Büro ASTOC überzeugte mit der tabula-rasa-Lösung Abriss und Neubau. So schlecht war die Substanz der Häuser, so veraltet die Ausstattung und der Zuschnitt der Wohnungen, so wenig qualitätvoll die Außenräume, dass eine Sanierung sehr aufwändig und kostspielig geworden wäre, ohne zu einem wirklich guten Ergebnis zu führen. Fünf Jahre hat die Realisierung dieses Vorhabens dann gedauert, bis 2012 der letzte der drei Bauabschnitte abgeschlossen war. Sukzessive wurden die Bewohner umgesiedelt, während abgerissen und neugebaut wurde. Heute wohnt in der Siedlung noch etwa die Hälfte der früheren Bewohner und wenn man sie fragt, wie es ihnen hier gehe, kommt immer die gleiche Antwort: Es ist einfach schön.
Auch heute stehen auf dem Gelände wieder 18 Häuser, fast auf dem Fußabdruck ihrer Vorgänger, doch eben nur fast. Denn die Gebäude, die vorher durch kleine Versprünge gegliedert wurden, kennzeichnet heute ein leichter Knick. Was im Plan früher erratisch und im Erleben unstrukturiert wirkte, erzeugt heute einen dynamischen und kommunikativen Eindruck, die Häuser sind einander zugewandt und bilden ein Netz von Zwischenräume aus, das vielfältige Nutzungsmöglichkeiten bietet. Der vorhandene Raum konnte mit den Neubauten weitaus effizienter genutzt und die Zahl der Wohnungen um 25 % auf 434 angehoben werden, ohne dass man dem Quartier die Nachverdichtung ansehen würde – für die Bauherrin kein unwesentliches Detail. Denn heute sind die Häuser viergeschossig, die Erdgeschosse liegen auf Straßenniveau und die Dächer wurden als flache Pulte ausgebildet. Die 434 Wohnungen haben ein bis vier Zimmer (oder 50 – 90 qm), sie sind barrierefrei mit bodentiefen Fenstern und Balkonen – und alle sind öffentlich gefördert.
Markant ist die grüne Farbe der Häuser, genau betrachtet sind es sogar fünf Schattierungen des pastelligen Grüns, die jeweils am Knick wechseln und auch an trüben Tagen ein irgendwie bewegtes, lebendiges Bild erzeugen. In diesem Teil von Köln ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal.
Eine einspurige Ringstraße erschließt die Siedlung, doch viel Verkehr herrscht hier nicht, Parkplätze gibt es in ausreichender Zahl, da die meisten PKW in den drei Tiefgaragen abgestellt werden. So bleibt oben Platz für Spielplätze und Treffpunkte im Grünen und für die äußerst begehrten Mietergärten (Freiraumplanung: urbane gestalt johannes böttger landschaftsarchitekten, Köln). Durch den Knick in den Häusern entstehen hofähnliche Situationen, die eine gewisse Intimität besitzen, aber dennoch durchlässig wirken, weil sie über Wege und Blickachsen miteinander verbunden sind, dies jedoch nicht nur innerhalb der Siedlung, sondern auch nach außen in die angrenzenden Nachbarschaften. So gibt es in der neuen Planung keine dunkeln, unheimlichen Ecken, keine no-go-areas mehr. Soziale Kontrolle im Siedlungsbau ist wichtig, viel konnte man hier aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Schon bei der Planung setzte man darauf, dass intakte Nachbarschaften – so auch der teilnehmende Blick aus dem Fenster – ein äußerst wirkungsvolles Instrument gegen Vandalismus und Kriminalität darstellen. Und wie die Vorgärten und Gärten zeigen, die nur durch einen niedrigen Maschendrahtzaum und Ligusterhecken eingefasst werden, findet ein wichtiger Teil des Lebens dort draußen statt: zwischen Gartenmöbeln und Kinderspielzeug, einer Brunnen-Attrappe und Deutschlandflaggen, einem einsamen Schneewittchen und einem intensiv bewirtschafteten Gemüsegarten. Natürlich liegt da auch mal ein Müllsack, der noch nicht den Weg in die durchweg dreisprachig beschrifteten Tonnen gefunden hat.
Die GAG nimmt ihre soziale Verantwortung ernst, macht weitaus mehr, als nur Wohnraum zur Verfügung stellen. Mitten in der Siedlung gibt es ein Mietercafé, dort treffen sich die jungen Mütter mit ihren Babys zur Krabbelgruppe, Senioren zum Kaffee, Schulkinder bekommen dort kostenlos individuelle Nachhilfe, es gibt ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung und eine Wohngruppe für Demenzkranke. Nur eine Ecke weiter öffnen stundenweise die Kleiderstube und die Lebensmittelausgabe. Betreut und organisiert werden diese Angebote von Vereinen und caritativen Verbänden, deren Arbeit die GAG unterstützt.
Dass die „grünen Häuser mit Knick“ bei den Mietern ungeheuer populär sind, liegt nicht nur daran, dass man hier für eine Kaltmiete von 5,44 €/qm sehr schön wohnen kann, sondern – und das belegen die zahlreichen Architekturpreise und das große Interesse der Fachpresse – dass hier exemplarisch eine Antwort auf die Frage gefunden wurde, wie mit dem Siedlungsbau-Erbe der Nachkriegsjahre nachhaltig umzugehen ist. Ein Thema, mit dem sich derzeit viele Städte auseinandersetzen müssen. Bemerkenswert ist hier der Mut noch einmal neu anzufangen, um dem Buchheimer Weg eine Chance für morgen zu geben.
Und dann beklagt sich das ältere Ehepaar aus der Erdgeschosswohnung mit dem großen Garten, dass von dem neu gepflanzten Ahorn so viele Nasen auf ihren Rasen fallen. Das ist ganz wunderbar, denn wenn die Leute hier nur noch solche Probleme haben, wurde doch alles richtig gemacht.
Uta Winterhager
Fürs Protokoll noch die Auszeichnungen:
Kölner Architekturpreis 2014, Auszeichnung;
Urban Living Award 2013, Nominierung;
Deutscher Städtebaupreis 2012, Auszeichnung;
Modern Atlanta Prize for Green Dwelling 2012, Auszeichnung;
Deutscher Bauherrenpreis 2011/2012;
Darüber hinaus erhielt das Projekt auch den Sonderpreis für Freiraumgestaltung im Wohnungsbau beim Deutschen Bauherrenpreis 2011/2012
Dieser Beitrag erschien im März 2015 in der Sonderausgabe der stadtaspekte, die in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Baukultur herausgegeben wurde