Grabeskirche Liebfrauen Dortmund
Ein Kolumbarium muss kein Taubenschlag sein, das zeigt Volker Staab mit einem bronzenen Urnengräberfeld in der Grabeskirche Liebfrauen Dortmund. Wer diesen Raum betritt möchte glauben, dass das Leben im Tod nicht genommen, sondern gewandelt wird.
Die Geschichte der Dortmunder Liebfrauenkirche ist eine von vielen im Revier: Ende des 19 Jahrhunderts erbaut, als Katholizismus und Industrie prosperierten, wurde sie im 2. Weltkrieg größtenteils zerstört und von der Gemeinde wieder aufgebaut. Heute steht der neogotische Ziegelbau des Wiener Architekten Friedrich von Schmidt dicht umbaut und umfangreich saniert im innerstädtischen Klinikviertel. Kein Bauschaden kann die Existenz einer Kirche so massiv gefährden wie der Entzug ihrer Funktion, dafür gibt es aus den Nachbarstädten genügend traurige Beispiele. Bis 2008 war die Zahl der Gemeindemitglieder in Dortmund soweit zurückgegangen, dass die wenigen Verbliebenen der benachbarten Propsteigemeinde angegliedert wurden. Um das Gotteshaus aber dennoch zu bewahren, wollte der Katholische Gemeindeverband Östliches Ruhrgebiet es weiterhin selbst nutzen. Nicht als Kirche ohne Gemeinde, sondern als christliche Urnengrabstätte, Bestattungsort für Katholiken wie Protestanten gleichermaßen. Ein eher ungewöhnliches Unterfangen, war doch den Katholiken die Kremation bis 1963 gänzlich verboten. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Beisetzungen in deutschen Großstädten Feuerbestattungen und der Wunsch nach einem christlichen Rahmen aus Ort und Liturgie ist stetig gewachsen. Diesen mitten in der Stadt, in der Liebfrauenkirche zu schaffen ist ein mutiger Schritt in einer Gesellschaft, die den Gedanken an den Tod zunehmend aus dem Alltag verdrängt. Da es bis heute nur erlaubt ist, Päpste, Bischöfe oder Kardinäle in einer Kirche zu beerdigen, musste der Bau vor der Umnutzung zur Grabeskirche profaniert werden.
Dass auch die Gestaltung eine erhebliche Rolle für die Akzeptanz der neuen Nutzung spielen würde, hat der Katholische Gemeindeverband frühzeitig erkannt und 2008 einen Wettbewerb ausgelobt. In Deutschland gab es zu der Zeit zwei gebaute Beispiele, die Grabeskirche St. Josef Aachen (Hahn Helten + Assoziierte, 2006) und das Kolumbarium in der Allerheiligenkirche Erfurt (Evelyn Körber, 2007). In beiden Fällen wurde die Grundidee des Kolumbariums, eine Wand wie ein Taubenschlag, in übermannshohe Stelen aufgelöst. Der Gesamteindruck der Stelen ist in beiden Fällen sehr dicht und skulptural, die schmalen Zwischenräume haben zwar eine durchaus intime Wirkung, doch die Kirchenräume verlieren an Offenheit und Weite.
Schweres Dunkel für Trauer und Gedenken
Nach dem Dortmunder Wettbewerb wurden die beiden ersten Preisträger beauftragt, Volker Staab (Berlin) mit der Realisierung der Urnengrabstätten und die Künstler Lutzenberger + Lutzenberger (Bad Wörishofen) mit der Gestaltung der Prinzipalstücke für den Chorraum, in dem die Trauerfeiern abgehalten werden.
Staab Architekten nutzten die Weite des gesamten Kirchenraumes und verzichteten auf Höhe, sie entwarfen ein rechteckiges Gräberfeld auf dem scharfkantige Blöcke aus dunkler Bronze in rechtwinkliger Symmetrie um die acht Pfeiler der Stufenhalle mäandrieren. Das Bild ist streng und geerdet, und da die bronzenen Einbauten nicht höher sind als die Rückenlehen üblicher Kirchenbänke sind, bleibt die Weite des Raums erhalten. Die Bodennähe der Einbauten weckt Assoziationen an ein Gräberfeld und nimmt der Urnenstätte ihre Fremdheit.
Zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung sind etwa 100 Grabstätten belegt, wie die Kerzen und Blumen und die quadratischen Abdeckplatten auf den Bronzeblöcken verraten. Kein Detail, keine Gliederung gibt etwas von Inhalt oder Konstruktion der Einbauten preis, fast nahtlos werden sie eins mit der bronzenen Bodenplatte. Die Urnen darin sind geborgen und geschützt – für die Angehörigen ein Aspekt von großer Bedeutung. Während der Beisetzung werden die Urnen von oben in die Kammern abgesenkt, ein Ritual, das dem Niederlassen des Sarges bei der Erdbestattung sehr ähnlich ist. Verschlossen werden die Urnengräber mit einer gegossenen Bronzeplatte, die nach den Wünschen der Angehörigen gestaltet werden kann. Dabei sind Typographie und Schriftgröße vorgegeben, es können jedoch individuelle Bildmotive, z. B. auch einem Foto des Verstorbenen verwendet werden. Zu jeder Grabplatte gehören außerdem ein Opferlichthalter, ein Kerzenhalter und eine Blumenvase aus Bronze, die an den Rand der Grabplatte gesteckt werden können. Ursprünglich war es so – und offiziell ist es so noch immer– dass darüber hinausgehende Dekorationen, ebenso wie Kunstblumen, auf den Grabstellen nicht erlaubt sind. Doch niemand brachte es über das Herz, die überzähligen Sträuße, Engelchen oder Kinderbasteleien abzuräumen. Auch hat die Erfahrung gezeigt, dass der Wunsch die Grabstätte mit persönlichen Dingen zu schmücken, Teil des Trauerprozesses ist und mit der Zeit abnimmt. In die Urnengrabblöcke sind an mehreren Stellen gepolsterte Sitzbänke eingelassen, welche es den Angehörigen ermöglichen, den Verstorbenen auch physisch nah zu sein. 20 Jahre währt die Nutzungs- bzw. Ruhezeit der Urnengrabstätten, danach wird die Totenasche von einem Priester in die „Letzte Ruhestätte“ überführt. Sehen kann man davon nur ein geschlitztes Kreuz in der Mitte bronzenen Gräberfeldbodens, darunter verbirgt sich ein zum Erdreich offener Aschebrunnen.
Lichte Weite für Glaube und Hoffnung
Die gegensätzliche Wirkung der Materialien, schwere, dunkle Bronze an den Grabstätten und helle kanadische Eiche in lockerer Schichtung für Boden, Einbauten und Mobiliar im Chorraum, verstärkt die funktionale Gliederung des Kirchenraumes. Hier setzt auch die Lichtplanung (Licht Kunst Licht) an, vom Eingang aus betrachtet liegt hinter dem dunklen Gräberfeld der hell erleuchtete Chorraum. Die Gewölbe der Mittel- und Seitenschiffe werden mit diffusem Licht gleichmäßig ausgeleuchtet, um die gesamte Raumhöhe wirken zu lassen. Im Urnenfeld ist es grade so dunkel, dass die Flammen der Kerzen auf den Gräbern als Lichtpunkte leuchten. Die Mischung aus Kunst- und Tageslicht wirkt ausgesprochen warm, besonders reizvoll ist es, wenn die durch die bunten Fenster einfallenden Sonnenstrahlen ein flimmerndes Lichterspiel auf dem Gräberfeld erzeugen.
Nicht zuletzt sollte die neue Nutzung des Kirchenraumes auch wirtschaftlich dazu beitragen, das Gebäude zu erhalten. Die Urnengrabstätten, von denen es derzeit etwa 4.800 gibt, werden in drei Preisstufen angeboten, Wahlgrabstätten für zwei Urnen kosten 7.000 €, Reihengrabstätten 3.000 € und ein Platz in der Gemeinschaftsgrabstätte in der Josefskapelle 1.600 €. Im rechten Seitenschiff befindet sich die „Grabstätte für Unbedachte“, eine bronzene Wandscheibe in deren Nischen die Asche obdach- und mittelloser Menschen beigesetzt wird. Auch ihre Grabstätten bekommen hier ein Namensschild, die Kosten übernimmt der Träger. Damit die Grabeskirche sich rechnet, braucht man einen langen Atem, sagt ihre Verwaltung, doch das Interesse nicht nur an den Grabstätten, sondern an der gesamten Institution sei enorm, wie die über 100 Führungen im letzten Jahr gezeigt haben.
An einem Dienstagmorgen im Februar ist die Kirche eiskalt, doch immer wieder kommen Menschen – und bleiben. Sie bringen Blumen mit, tauschen Kerzen aus und sprechen miteinander. Oft kommt es dazu, dass sich Einsame und Trauernde hier gegenseitig Trost spenden. Denn die Grabeskirche bietet neben der Schwere des Todes auch Allegorien für das Leben und den christlichen Glauben. Es nicht nur das Licht, dessen Wirkung man sich kaum entziehen kann, sondern auch die stille Größe des scheinbar unberührten sakralen Raumes.
Uta Winterhager
Aus db deutsche bauzeitung 4.2013 Trauer braucht Raum
Architekten: staab architekten, Berlin
Standort: Grabeskirche Liebfrauen Dortmund, Amalienstraße 21a 44137 Dortmund