Die Kunst der Kugel

Wenn jemand, der mit den von ihm produzierten Kränen in fast allen Sparten Weltmarktführer ist, einen der ganz großen Architekten mit der Bitte um Erweiterung seiner Betriebskantine aufsucht, um seinen ambitionierten Koch zu halten, muss man etwas Außergewöhnliches erwarten. Und so scheint die nach ihrem Verfasser benannte Oscar-Niemeyer-Sphere vom Himmel gefallen und zufällig auf der Ecke des Alten Kesselhauses der Kirow-Werke in der Leipziger Spinnereistraße gelandet zu sein. Überirdisch wirkt die weiß-schwarze Kugel mit der Perfektion ihrer Form und Oberflächen, mit ihrer unwahrscheinlichen Statik und der stolzen Kompromisslosigkeit, die sich nicht erklären muss. Doch hinter der 20 Zentimeter dicken Schale aus makellosem Weißbeton stehen schöne und ganz menschliche Geschichten.

Keine Grenzen

Zum Beispiel die des jungen Düsseldorfers Ludwig Koehne, der 1994 einen maroden Ost-Betrieb für eine D-Mark kauft und nun mit 500 Mitarbeitern die ganze Welt mit seinen Spezialkränen beliefert. Oder die Geschichte des gleichen Mannes, der 17 Jahre später einen Brief an den 104jährigen Oscar Niemeyer schreibt, ihm berichtet, wie gut ihm seine Bauten in Brasilia, aber ganz besonders das Haus für den Fotografen Florio Puenter in St. Moritz gefallen haben, und ihm den Auftrag für einen Speise- und Tanzsaal auf dem Dach seines Kantinengebäudes anbietet. „Selbstverständlich genießen Sie sämtliche Freiheiten“, schloss er seinen Brief und vielleicht waren es neben der außergewöhnlichen Bauaufgabe auch die kunstsinnige Haltung des Bauherrn und sein Mut mit der Statik an die Grenzen des Machbaren zu gehen, die den großen Architekten überzeugten, seiner schöpferischen Kraft in dem Entwurf einer im Durchmesser 12 Meter messenden Kugel Ausdruck zu verleihen. Eine traurige Wendung nahm die Geschichte, als Niemeyer bereits ein Jahr später im Dezember 2012 starb, doch sein Werk wurde posthum von Jair Valera, seiner rechten Hand des Büros in Rio de Janeiro und Harald Kern, dem lokalen Architekten in Leipzig umgesetzt.

Die perfekte Illusion

Die Kunst dieser Kugel besteht nicht nur in der Realisierung ihrer sinnlichen Kurven, sondern in ihrer Verschwiegenheit. Denn obwohl sie vorgibt in acht Metern Höhe nur zufällig auf der Ecke der fast 100 Jahre alten Backsteinhalle zu sitzen, ruht sie auf einem ziegelfarbenen Betonschaft, der bündig an den Gebäudekopf gesetzt wurde. Zwei organisch geformte Ausschnitte öffnen die perfekte Betonhülle, geschlossen werden sie mit einem geodätischen Stahlmaßwerk, dessen 147 dreieckige Scheiben aus Liquid Crystal Glas sich der Sonneneinstrahlung entsprechend zur Verschattung schwarz färben lassen. Die Illusion eines Architektur-Follys bleibt perfekt, da keine Treppe, keine Tür die Hülle an sichtbarer Stelle perforiert, erschlossen wird sie über einen Aufzug in ihrer Mittelachse. Denn die Skulptur hat ein hochfunktionales Innenleben, wobei auch das Niemeyers Handschrift trägt: Im Boden der Kugel verbirgt sich die Haustechnik, darüber die Bar mit roter Rückwand und auf Äquatorebene schließlich die Lounge und Restaurant, in der der Architekt mit einer wandfüllenden, auf Azulejos gebrannten Strandskizze präsent ist. Doch erst mit dem Licht wird ein Niemeyer wirklich zum Niemeyer. Das Lichtplanungsbüro Licht Kunst Licht AG mit Sitz in Bonn, Berlin und Barcelona zeichnet die außergewöhnlichen Volumina im Inneren der Kugel nach, setzt die Rundungen in Szene und verleiht dem Beton die für den Architekten typische Leichtigkeit. Gleichzeitig schafft sie die richtige Atmosphäre zum Genießen und Erleben dieses außergewöhnlichen Ambientes. Insbesondere nachts, wenn auf den Dächern montierte Spezialleuchten die Umgebung ausblenden und die Kugel im dunklen Nichts schweben lassen, ist die Illusion perfekt.

So trifft in Leipzig-Plagwitz Industrie auf Kultur, außergewöhnliche Baukunst, perfekte Inszenierung und feinste Küche, eine bessere Mischung kann man sich heute kaum wünschen.