Das Düsseldorfer Schauspielhaus, kurz »D’haus«, ist eine Diva. Ebenso expressiv wie enigmatisch hatte sie vor fast 50 Jahren ihren Platz in der Stadt eingenommen, doch Standort und Gebäude haben im Grunde genommen noch nie richtig zusammengepasst. In unmittelbarer Nachbarschaft inszenieren ingenhoven architects den Kö-Bogen neu. Dabei soll auch der stolzen Protagonistin – nach ihrer derzeit noch laufenden Sanierung – eine Rolle im städtischen Gefüge zuteilwerden, die sie teilhaben lässt.
Im Spätherbst 2018 ist der Blick vom kürzlich sanierten Dreischeibenhaus (H. Hentrich, H. Petschnigg, F. Eller, E. Moser, R. Walter, 1960) spektakulär. Direkt zu seinen Füßen ist der Büro- und Geschäftskomplex Kö-Bogen II in den letzten Monaten fünf Geschosse nach unten und ebenso viele nach oben gewachsen. Das eigenwillig abgeschrägte Bauvolumen wird künftig den Gustaf-Gründgens-Platz – aktuell noch Baugrube und randvoll mit Baustelleninfrastruktur – zusätzlich fassen. Eine provisorische Straße trennt die Grube vom Schauspielhaus, das derzeit seiner weißen Fassadenbekleidung beraubt, nur folienbekleidet auf das Geschehen blickt und mit ungebrochenem Stolz auf einem Banner am Bühnenturm verkündet: »Wir spielen weiter!«. Dabei hat das eine, die städtebauliche Neuordnung, mit dem anderen, der Sanierung des seit 1998 als Denkmal eingetragenen Schauspielhauses, ursächlich nichts miteinander zu tun. Und doch liegt darin die einmalige Chance, das Theater endlich in die Stadt zu holen. Beauftragt mit der Sanierung von Dach und Fassade (Bauherr: Landeshauptstadt Düsseldorf nach öffentlichem Vergabeverfahren), sowie der Publikumsbereiche (Bauherr: Neue Schauspiel GmbH als Direktvergabe) wurden auch hier ingenhoven architects.
Was tut die Ikone für die Stadt
Auch 1959, als Stadt Düsseldorf den Wettbewerb für den Neubau ihres Schauspielhauses auf einem Trümmergrundstück am Hofgarten auslobte, dachte sie groß, damals jedoch nicht in größeren Zusammenhängen. Sie hatte zwar sämtliche prominente Architekten jener Zeit zur Teilnahme aufgefordert, doch weder Le Corbusier, noch van der Rohe oder Gropius folgten der Einladung. 58 Arbeiten wurden eingereicht, Richard Neutra, Ernst Friedrich Brockmann und der Düsseldorfer Bernhard Pfau (1902 – 1989) überarbeiteten in einer zweiten Phase ihre Entwürfe. Schließlich überzeugte Pfau mit einer organischen Formgebung und deren »erstaunlich guter städtebaulicher Wirkung« die Jury. Die ausladenden Schwünge des in seiner weißen Hülle quasi entmaterialisierten, schwebenden Solitärs hatten zwar Ikonenpotenzial, doch zur schlüssigen Gliederung des städtischen Raums leisteten sie keinen Beitrag: Pfau hatte seinen Entwurf bewusst auf den Hofgarten und nicht auf die mit dem Thyssen-Hochhaus markierte Stadtseite ausgerichtet. Zudem setzte Friedrich Tamms, Architekt der 2013 abgerissenen Düsseldorfer Hochstraße »Tausendfüßler« und seit 1960 Baudezernent der Stadt, zwei wesentliche Änderungen an Pfaus Entwurf durch: Zum einen verschob er das Gebäudes Richtung Hofgarten, damit stadtseitig ein Vorplatz, der heutige Gustaf-Gründgens-Platz, entsteht und zum anderen wurde der Grundriss an der Nord-Süd-Achse gespiegelt, damit der Bühneneingang, die Theaterrückseite, nicht dem Dreischeibenhochhaus zugewandt ist.
Erzwungene Stellungnahme: Abriss oder Sanierung
Im Januar 1970 wurde das D’haus nach fünfjähriger Bauzeit unter lautstarkem Protest derer eröffnet, die in der Geschlossenheit der skulpturalen Großform das Symbol eines elitären Kulturverständnisses sahen. Fast 50 Jahre später wurde ihm ausgerechnet seine charakteristische weiße Hülle fast zum Verhängnis. Die Halteklemmen, die die fein gewellten, bis zu 16 m hohen und nur 30 cm breiten Stahlelemente an der Fassade hielten, waren mit der Zeit korrodiert. Ein vorhersehbarer Bauschaden, da es keine Attikaabdeckung gab, die das Eindringen von Wasser hinter die Fassadenbekleidung hätten verhindern können. Wohl waren die seinerzeit von Thyssen hergestellten Bekleidung verzinkt und kunststoffbeschichtet, nur eben ihre Unterkonstruktion nicht. Der Absturz von Fassadenteilen und damit sogar der Abriss des ganzen Gebäudes drohte, da für den Erhalt des Gebäudes die Fassade vollständig abgenommen und denkmalgerecht aber ohne bauphysikalische Kompromisse ersetzt werden musste – eine kostspielige und aufwendige Angelegenheit. Doch die Stadt entschied sich für den Erhalt ihres außergewöhnlichen Theatergebäudes. In der Folge gelang es der Kampagne »Schauspielhaus2020 – Düsseldorfer Bürger für ihr Theater« knapp die Hälfte der veranschlagten 12 Mio. Euro für die Modernisierung und Sanierung der Foyers und Besucherinfrastruktur über Spenden zusammenzutragen, ein besseres Zeugnis für die Verbundenheit der Bürgerschaft hätte sich die Stadt kaum wünschen können.
Die neuen Fassadenelemente, werden dem gewellten Original entsprechend speziell gefertigt; dieses Mal jedoch aus Aluminium, ebenso wie die Unterkonstruktion. Für Außenstehende kaum sichtbar ist die Sanierung der Dachflächen, an denen seit den frühen 80er Jahren immer wieder neue Schichten Teerpappe aufgebracht wurden, ohne die latente Undichtigkeit je zu beheben. Der von ingenhoven architects geplante und abschnittsweise realisierte neue Dachaufbau entspricht heutigen Standards, wird aber – trotz der neu hinzugefügten extensiven Begrünung – nicht dicker als das Original.
»Vorhangfassade«
Es macht die Sanierungsarbeiten sicher nicht einfacher, dass sie bei laufendem Betrieb durchgeführt werden. Das EG darf darüber hinaus nur in-situ saniert werden, was vorab eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Zustand erforderte besonders an der Glasfassade. Pfau hatte hier bronzierte Scheiben in braunen Stahlrahmen eingesetzt, die über die Jahre unzählige Male überstrichen worden waren – zuletzt in einem hellen Grau. Hier, wie auch bei vielen der im Inneren durchgeführten kleinen und größeren Maßnahmen, wird deutlich, wie wenig Pfaus Architektur verstanden wurde. Dabei liegt es nah, in der sanft gewellten weißen Fassade einen Vorhang zu sehen, unterhalb dem Licht hervorscheint. Pfau transportierte das Bild der Zuschauer, die ihre Plätze eingenommen haben und freudig erregt die Vorstellung erwarten, in den städtischen Raum. Aus welcher Richtung auch immer sich Besucher und Passanten sich dem abendlich erleuchteten Haus nähern, genau diesen festlichen Kitzel sollten sie spüren. Um die klare Trennung zwischen dem weißen Vorhang der OGs und der dunklen zurückversetzt Glasfassade des EGs auch tagsüber wiederherzustellen, werden sowohl die Rahmen wie auch die zierlichen Stützen davor, braun gestrichen. Für das Glas, das für den festlichen Schein zwingend weiter bronziert sein muss, fanden die Architekten einen Hersteller, der eine leichte und somit lichtdurchlässigere Einfärbung anbietet.
Konsequent formal
Die amorphe Figur verrät nur wenig über ihre innere Ordnung. Einzig die Passage, die Pfau quer durch das Gebäude führte, gibt einen Hinweis darauf, dass es hier zwei Spielstätten gibt: das Große Haus mit einer konventionellen Guckkastenbühne, das bis 2011 von pfp architekten (Hamburg) schadstoffsaniert, akustisch optimiert und auf Wunsch des Schauspiels um rund 200 Plätze auf nunmehr 700 verkleinert wurde, und das Kleine Haus, das als Werkstattbühne mehr räumliche Flexibilität erlaubt und je nach Art der Bestuhlung bis zu 300 Plätze bietet. Charakteristisch für den großen Saal ist seine Auskleidung mit Lamellen aus Vogelaugenahorn und die ranglose Ordnung der Plätze. Da die beiden Theater nur über betriebsinterne Bereiche miteinander verbunden sind, mussten alle Publikumsbereiche doppelt angelegt werden, zwei Foyers, zwei Garderoben, zwei Kassen. Leicht auffindbare Eingänge, deren Lesbarkeit der Skulptur einen Kompromiss abgerungen hätten fehlten, stattdessen setze Pfau selbst ihr ein Kassenhäuschen zu Füßen, das im Rahmen der aktuellen Sanierung jedoch abgebrochen wurde.
Pfau hatte das große Foyer auf den Hofgarten ausgerichtet, verzichtete auf dessen Außenwirkung und nahm in Kauf, dass, wer das Haus stadtseitig betritt, durch die Hintertür kommt. In Zukunft sollen hier ein gläserner Windfang und großformatige Projektionen zu Theaterthemen die Besucher empfangen. Die Umgänge, die rechts und links entlang der Garderoben und Sanitäranlagen um den zentral angeordneten Bühnenkern herumführen, sollen bereits vom wiedererweckten Glamour des Foyers künden. Ingenhoven bleiben dabei streng am historischen Original, legen z. B. den überstrichenen Sichtbeton wieder frei und sanieren die Böden aus Marmor und Kleinmosaik. Und doch wird es an einigen Stellen Eingriffe geben, die der heutigen Setzung und dem derzeitigen Stand der Technik entsprechen. Ein zeitgemäßes, steuerbares Lichtkonzept soll den gewaltigen Raum unterschiedlichen Nutzungen anpassbar machen und nicht zuletzt auch seinen eigentlichen Trumpf – die gewaltige Stahlbeton-Konstruktion zur Lastabtragung der oberhalb des Foyers angeordneten Zuschauerränge – ins rechte Licht rücken.
Geöffnete Räume
Intendant Wilfried Schulz möchte sein Haus, »auch bei aller Hochachtung vor Pfau dennoch in die Zukunft führen«. Ein Theater, so erläutert er, sei genuin ein »Reflektionsraum für die Gesellschaft«, der in der Praxis aber zumeist nur bestimmten Kreisen vorbehalten ist. Er stellt sich das Düsseldorfer Schauspielhaus zukünftig als offenes Haus vor. Im Herbst diesen Jahres soll die Sanierung abgeschlossen sein, dann möchte er das Foyer tagsüber für künstlerische und pädagogische Angebote zur Verfügung stellen und die Zuschauer animieren, nach der Vorstellung noch in der spät am Abend geöffneten Bar zu verweilen. Dafür forderte er u.a. den bereits erwähnten deutlicher formulierten Haupteingang am Gustaf-Gründgens-Platz. Schulz möchte seinem Bestrebens nach einer größeren Offenheit des Hauses zwei Jahre Zeit geben, denn eine neue Rolle lernt auch ein Theater nicht von heute auf morgen.
Dieser Beitrag erschien in Heft 1-2/2019 „Bühnen“ der db deutsche bauzeitung