Die Geschichte
Kohle ist Geschichte. Protagonist dieser Geschichte ist/war das Kraftwerk Frimmersdorf II. Wir befinden uns mitten im Rheinischen Revier, in Grevenbroich.
Kraftwerke machen Kohle zu Strom. Die junge Bundesrepublik brauchte viel Energie für ihren wirtschaftlichen Aufschwung. Weit mehr als das erste 1926 errichtete Kraftwerk Frimmersdorf I erzeugen konnte. Frimmersdorf II wurde von RWE 1955 in Betrieb genommen, zunächst gingen die Blöcke A und B ans Netz. Kontinuierlich und blockweise wurde erweitert, die Benennung erfolgte alphabetisch bis P und Q 1965. Anfang der 1970er Jahre war Frimmersdorf II das größte Braunkohlekraftwerk der Welt. Aneinandergereiht kamen die beiden Maschinenhallen auf eine Länge von 650 Metern, aus 36 Kühltürmen quollen dicke weiße Wolken. Dann kamen andere, noch größere Kraftwerke.
Kraftwerke fressen Kohle, Tagebau frisst Land, schluckt ganze Dörfer und Wälder. Kraftwerke, insbesondere Kohlekraftwerke sind ökologisch nicht unbedenklich. Aber: Kraftwerke sind Arbeitsplätze. Und: Kraftwerke sind Landmarken.
Das ist bekannt, es wurde protestiert und diskutiert. Inzwischen ist die Braunkohle nicht mehr alternativlos. In Frimmersdorf II begann die Außerbetriebnahme 1988 mit den Blöcken A und B, 2021 war man dann bei P und Q angekommen. Das Kraftwerk ist jetzt stillgelegt. Die Kohle Geschichte.
Die Bewegung
An dieser Stelle möchte ich kurz in Violas Portfolio schauen, in das mit den freien Arbeiten, die sie neben ihren Aufträgen als Architekturfotografin realisiert. Die Schauplätze liegen in der Zwischenstadt, an der A555 in Wesseling oder an der Stromtrasse, die Köln mit dem Kraftwerk Neurath verbindet.
„Große Volumen, irre Gebilde, musste gezeigt werden, das vermeintlich Einfache gewinnt mit jedem Schritt der Annäherung an Komplexität.“
Lineares Arbeiten, Bewegung ist hier Methode und Thema. Kein konkretes Ziel, sondern Begreifen im Tun, um der Sache einen Raum geben.
Das Arbeiten
Nun also nach Frimmersdorf, ins Innere des Kraftwerks. Um dort zu fotografieren, gab es nur diese eine Zeitspanne: nach der Stilllegung und vor dem Rückbau. Einfach war es nicht, es erforderte Absprachen mit dem Land, dem Kreis, der Stadt und RWE. Möglich waren dann im April und Mai dieses Jahres vier Termine mit je zwei Stunden, in Begleitung, aber ungestört und relativ unbeobachtet.
Und doch ist Violas Arbeit wie wir sie hier sehen, nicht als politische Arbeit entstanden. Aber unpolitisch ist sie auch nicht, kann sie nicht sein. Die technische Anlage wird zum Motiv. Aber anders als jemand, der den Prozess der Kohleverstromung dokumentieren würde, bleibt die Betrachtung abstrakt, begleitet von der Neugier, wie und ob sich eine spezielle Ästhetik entwickelt.
Die Geschichte, Fortsetzung
Alles ist riesig!
Die Aufnahmen entstanden im Moment des Staunens – auch weil lange Vorbereitung (anders als in der Architekturfotografie) gar nicht möglich war. Entstanden sind unzählige Fotos, eine Auswahl hat es hierhergeschafft.
Viola ist mit ihrer Kamera den Produktionsprozess nachgegangen, das ergibt eine Ordnung, eine Straße, Produktionsstraße. Und ein Narrativ, eine Erzählstruktur, wie wir es hier im Raum nachvollziehen können.
In der Annäherung ist die Bewegung ist nachvollziehbar: eine Art Spaziergang. Wir beginnen im Kohlegraben, oben am Bildrand parken Eisenbahnwaggons als Maßstab, früher haben sie da die Kohle abgekippt, Baggerschaufeln transportieren sie weiter. Heute sehen wir Pflanzen, die sogenannte „vierte Natur“, die das ungenutzte Gelände zurückerobert.
Dann die Gebäude: Was wir sehen, sind viele Anschnitte, Ausschnitte, (alles ist riesig)Kleine Hinweise werden von Bild zu Bild transportiert: Von großen Bauteilen, wie der Kohlebandbrücke, die die Kohle vom Bunker in den Schwerbau transportiert hat. Wir sehen das elegante Treppenhaus, das im gestalterischem Widerspruch zum „Schwerbau“ steht. Vor dem Fenster die Unterseite der Kohlebandbrücke.
Wir gehen tiefer ins Innere. Es gibt keine Strom mehr (wo früher Strom produziert wurde) (!) allein Tageslicht musste im Maschinenhaus zum Fotografieren genügen. Wir orientieren uns an Material, wie den Glasbausteinen. An Farben, wie dem Grün und dem Türkis, die wiederholt auftauchen. Wir folgen den Rohren, den vielen als Rohrbündel. Schienen werden zum Anzeiger für Ebene 0, dem Erdboden, nur da fährt die Bahn. Türen, Geländer, geben Hinweise auf den (menschlichen) Maßstab, den man findet, wenn man ihn sucht. Der Kondensator dagegen, die Rauchgasleitungen, alles ist riesig, so riesig, dass die Kühltürme nur im Anschnitt aufs Bild kommen.
Das Bleibende
Für das Kraftwerk gibt es inzwischen Pläne, Entscheidungen, ein Konzept zur Nachnutzung. Wir wissen, was kommen wird: Daten, Digitales, Dienstleistung, weniger Dreck, Denkmalgeschütztes (A-D) wird erhalten. Aber steckt auch in dieser Fotoarbeit die Idee des Bewahrens? Ist es in diesem Sinne Dokumentation oder Kunst? Ist das Bild schön oder einfach nur das, was es ist?
Viola hat Dokumentarfotografie studiert, ich habe gelernt, dass es keine reine Dokumentarfotografie geben kann, denn mit jedem Bild, allein schon mit der Entscheidung es aufzunehmen bezieht die Fotografin eine Position. Die kann gestärt, überzeichnet oder neutralisiert werden.
Viola hat das Kraftwerk Frimmersdorf II im Zustand vor dem Rückbau dokumentiert. Dabei hat sie Emotion zugelassen, zum Beispiel das eben erwähnte Staunen. Aber auch Lichter und Schatten. Bild für Bild baut sie die Erzählung auf, manches sprengt das Format. Technisch können wir das nicht alles verstehen, müssen wir auch nicht, damit Spiel bleibt. Der Raum ist geöffnet, Eindrücke bleiben.
Die Wundermaschine
Vor ein paar Tagen kam mir ein Kinderbuch in den Sinn, nach ein wenig Suchen habe ich es dann auch gefunden. Der Autor, Philippe Fix, eine Franzose, ist inzwischen fast 90 Jahre alt und das Buch so eine typische Sozialutopie der 60er Jahre, Gesellschaftskritik gut verpackt, ist ja für Kinder.
Der Protagonist Serafin braucht einen Job, so richtig gefällt ihm keine Tätigkeit, als Fahrkartenknipser wird er gekündigt, weil er sein Knipserhäuschen mit Blumen schmückt und die Löcher nicht passgenau in die Fahrkarten stanzt. Doch dann erbt er eine alte Villa (Schrottimmobilie) und baut sie mit viel Fantasie und Material in ein gigantisches Instrument um, eben Serafins Wundermaschine, so heißt auch das Buch. Natürlich kommen irgendwann böse Männer vom Kapitalismus getrieben und wollen das Haus, die Wundermaschine abreißen. Serafin und seinen Freunden bleibt nur die Flucht über eine fantastische Himmelstreppe.
Viola dagegen ist nicht geflohen, sondern tief ins Dunkle und Ungewisse vorgedrungen. Sie hat ihre Wundermaschine Stück für Stück mitgenommen und wieder neu zusammengesetzt. So wie wir sie hier sehen: Violas Wundermaschine.
Text zur Eröffnung der Fotoausstellung von Viola Epler
8. – 22. November 2025 Lindenstraße 19 50674 KÖLN