Der Architekturfotograf Stefan Schilling im Porträt
Der Kölner Architekturfotograf Stefan Schilling ist der siebte Fotograf, der sich 2016 unseren Fragen zur koelnarchitektur Porträtserie Architekturfotografen im Fokus II stellte.
Wie kamen Sie zur Architekturfotografie?
Ursprünglich habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, was, sondern wo und wie ich fotografiere: Also draußen, flanierend in den Städten, intuitiv dokumentierend. Dabei interessierten mich besonders die Ungereimtheiten, Lücken und Übergänge im Stadtbild – die Differenz zwischen dem, was ist und dem, wie es sein könnte oder sollte. Ich nahm dabei einen Standpunkt ein, der mich räumlich und zeitlich haarscharf an der „richtigen“ Architektur vorbei fotografieren ließ. Meine Liebe zur Baustelle aber auch zur „Rückbaustelle“ als Orte des Übergangs und Momente in der Schwebe erklärt sich vielleicht auch daher. Die Spezialisierung auf das Sujet Architektur fand erst nach meinem Studium statt, als es galt, aus meinen frei angelegten Fotoserien einen „richtigen“ Beruf zu machen.
Bilden Sie Architektur ab oder übersetzen Sie das Gebaute in eine Bildsprache?
Fotografien sind ja keine Architektur – insofern übersetzt man Körper und Räume beim Fotografieren zwangsläufig in ein Bild. Ich gehe eher von der Situation aus, die ich vorfinde, als dass ich einen bestimmten „Look“ vor Augen hätte. Da sich viele Umstände bei der Auftragsarbeit nicht beeinflussen lassen, möchte ich umso mehr Kontrolle über die übrigen Faktoren ausüben. Einen gewissen Sinn für Dramatik würde ich mir nicht absprechen, wenn ich auch eine Vorliebe für dezente Lichtstimmungen, weiche Tonalitäten, fein abgestufte Farbpaletten und einen konzentrierten Bildaufbau sehe.
Wie nähern sie sich dem architektonischen Konzept eines Hauses? Sprechen Sie mit den Architekten und Bauherren oder machen Sie sich selbst ein Bild?
Das Gespräch mit dem Kunden, der Austausch und das Briefing gehen jedem Fotoauftrag voraus. Aus meiner Erfahrung bringen Architekten und andere Auftraggeber dem Fotografen meist viel Vertrauen entgegen und verlassen sich auf ihn. Die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit bei der Umsetzung ermöglichen dann auch einen durchaus gewünschten Moment der Überraschung im fremden Blick auf die eigene Arbeit. Ich schätze das sehr und empfinde den ersten, frischen und möglichst unverbildeten Blick bei der Begegnung mit einem Gebäude oder Ort als besonders wertvoll. Ich bin ja kein Architekt und möchte mit ihm nicht fachsimpeln, sondern seine Arbeit mit meinem Medium ergänzen und mit meinen Möglichkeiten unterstützen. Es zeigt sich immer wieder, dass die Auswahl des Kunden aus der produzierten Bildstrecke oder die gemeinsame Bildauswahl im Nachgang auch und gerade bei unterschiedlichen Sichtweisen ein tieferes Verständnis füreinander erzeugen und eine gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit bilden.
Wovon lassen Sie sich inspirieren?
Idealerweise verstärken das Gebäude, der Ort oder die Situation die Lust am Fotografieren. Motivierend und inspirierend kann die Arbeit anderer Fotografen wirken – unabhängig davon, was sie fotografieren. In der Musik finde ich Maßstäbe und Ordnungsprinzipien auch für Fotografien und Bildstrecken: Wiederholung, Entsprechung, Kontrapunkt, Symmetrie, Umkehr, Rhythmus, Serialität, Dynamik, Tonalität, Farbigkeit.
Wie viele Bilder braucht man, um ein Haus zu verstehen und welche sind das?
Ein Haus kann man eventuell besser mit Plänen und Zeichnungen erklären, wenn man diese denn lesen kann … Mit der Fotografie vermitteln sich dagegen doch starke Stimmungsbilder. Ich möchte das ganze Spektrum zeigen, was ein Gebäude ausmacht, wie das Licht wirkt, wie das Material aussieht, wie sich die Zusammenhänge und Blickbeziehungen um das Gebäude herum gestalten. Ein ikonenhaftes Foto, eine Detailaufnahme oder ein unorthodoxer Schnappschuss können einen Ort zwar gut versinnbildlichen – es werden aber immer einige Einstellungen benötigt, um ein mehrdimensionales Bild des Gebäudes zu erzeugen.
In den letzten Jahren sieht man auch in den Architekturzeitschriften belebte Bilder. Eine Tendenz, die Sie begrüßen?
Es gibt viele gute Gründe, Menschen auch in Architekturaufnahmen auftauchen zu lassen – das Recht sollte vielleicht ebenso für Autos, Schilder, Bauzäune, Container, Flugzeuge und Tiere gelten. Es ist gut, dass sich das mittlerweile auch bei Architekten und Redaktionen herumgesprochen hat. Über die Begeisterung für belebte Bilder vergisst man aber fast, dass es auch starke Argumente für Architekturfotos ohne Menschen gibt – klassisch aufgefasste Architekturfotografien haben nach wie vor einen hohen Stellenwert in meiner Arbeit. Auch wenn ich selbst gerne Menschen in meine Aufnahmen einbeziehe, möchte ich „Menschen im Bild“ nicht mit „Humanität“ verwechselt wissen: Durch das Bild huschende Gestalten sind mittlerweile ein auch von mir bedientes Stereotyp geworden, das den Blick auf die Architektur aber nicht in jedem Fall bereichern muss.
Kann Sie Architektur noch überraschen?
Ich bin mir nicht sicher, ob der Überraschungseffekt eine besondere Aufgabe der Architektur ist oder sein sollte – einen Abstumpfungsprozess kann ich bei mir aber weder gegenüber gelungenen Bauten und Räumen noch gegenüber den unangenehmen Überraschungen der Architektur feststellen.
Gibt es Gebäude, die bei Ihnen eine besondere Leidenschaft auslösen?
Auf Anhieb denke ich an das Landeshaus des LVR in Deutz, den Kanzlerbungalow in Bonn, die Neue Nationalgalerie in Berlin oder den Wallfahrtsdom in Neviges. Es sind der sichtbar verkörperte Geist, die Haltung ihrer Zeit und ihrem Ort gegenüber, die mich diesen Gebäuden nahe fühlen lassen.
Woran erkennt man Ihre Bilder?
Eine unverwechselbare Handschrift setze ich nicht auf Kosten einer jedes Mal neuen Aufgabenstellungen durch – ich verstehe meine Arbeit als Gestaltungsauftrag, der im Detail aber individuellen Spielraum und Authentizität zulässt. Ich möchte in meinen Aufnahmen Ordnung und Transparenz herstellen, dem Moment aber gleichzeitig eine Chance geben. Ich selbst würde gerne über einen respektvollen Umgang, sowohl mit der Architektur als auch der Fotografie, über Genauigkeit, Klarheit, Detailliertheit und Sensibilität meinen Fotografien zugeordnet werden: Es geht mir um Nuancen.
Ist die digitale Fotografie gegenüber der Analogen Fluch oder Segen für Sie?
Die digitale Produktion ist längst auch in der Architekturfotografie Standard – ich nehme das gerne an und begrüße die neuen Möglichkeiten. Gleichzeitig zähle ich mich zu der glücklichen Generation, die analog aufgewachsen ist, den Wandel zum Digitalen aber ohne Abstriche mitvollziehen konnte, also beide Welten und ihre Geschichte kennt. Ich berücksichtig die Besonderheiten der digitalen Fotografie, indem ich mich in der Arbeitsweise stärker zu disziplinieren, zu entschleunigen und zu beschränken suche.
Zeigen Sie uns ein Bild, das Sie nachhaltig berührt oder inspiriert hat? Warum haben Sie gerade dieses gewählt?
Ein Foto von Lee Friedlander aus dem Buch „Self Portrait“ von 1970, das ich als 17-jähriger zum ersten Mal gesehen habe. Alles was ich bis dahin von der Fotografie kannte, war wie ein kleiner Rausch, im Vergleich zu dem Adrenalinstoß, den Friedlanders Instinkt in mir auslöste. Denken und Fühlen verdichtet in einem „Lucky Punch“. Seine überbordende Lust an der Welt, am Sehen und am Medium ist anhaltend und beispielhaft: Strike!
Lee-Friedlander: Route 9W, New York, 1969
Die Fragen stellten Barbara Schlei und Uta Winterhager